Paläontologie: Duonychus tsogtbaatari – der Dinosaurier mit den Scherenhänden

Man könnte meinen, Mutter Natur habe bei der Gestaltung dieses Dinosauriers wild in die Trickkiste gegriffen: Ein kleiner Kopf thront auf einem langen Hals, der in einen rundlichen, gefiederten Körper übergeht. Dazu kommen kräftige Arme mit nur zwei Fingern – an denen sichelförmige Krallen sitzen, rund 30 Zentimeter lang – und zwei Beine, mit denen das Tier vor etwa 90 bis 95 Millionen Jahren aufrecht entlang der urzeitlichen Flussläufe des heutigen Mongolei stapfte.

„Duonychus“ bedeutet „Zweikralle“

Dieser eigenartige Dinosaurier hört auf den Namen Duonychus tsogtbaatari und zählt zu den außergewöhnlichsten Vertretern seiner Art, die bisher entdeckt wurden. Sein Skelett wurde eher zufällig bei Bauarbeiten für eine Wasserleitung in der Wüste Gobi entdeckt. Laut einer aktuellen Studie im Fachjournal iScience ordnet ein internationales Forschungsteam die neue Art der Gruppe der Therizinosaurier zu – eine Gruppe pflanzenfressender Dinosaurier, die während der Kreidezeit sowohl in Asien als auch Nordamerika lebte.

Doch obwohl Duonychus zur bekannten Therizinosaurier-Familie gehört, unterscheidet er sich deutlich von seinen Verwandten. Mit einer Länge von etwa drei Metern und einem Gewicht von rund 260 Kilogramm weist er eine besondere Anomalie auf: Seine Hände enden nicht – wie sonst üblich – in drei, sondern lediglich in zwei funktionsfähigen Krallenfingern. Genau darauf spielt auch sein Name an: „Duonychus“ bedeutet „Zweikralle“ auf Griechisch. Die riesigen, gebogenen Klauen verleihen ihm ein bizarr-faszinierendes Aussehen, das an den Filmklassiker Edward mit den Scherenhänden erinnert – nicht umsonst wird die Gruppe manchmal als „Dinosaurier mit den Scherenhänden“ bezeichnet.

„Therizinosaurier gehören ohnehin schon zu den merkwürdigsten Dinosauriern“, erklärt der Paläontologe Yoshitsugu Kobayashi von der Hokkaido University in Japan, der die Studie leitete, gegenüber Reuters. „Sie zählen zu den Theropoden – also eigentlich Verwandte der Fleischfresser – sahen aber aus wie gigantische, gefiederte Faultiere.“ Duonychus treibe diese Absonderlichkeit noch auf die Spitze: „Er hatte kurze, zweifingrige Hände mit krallenartigen Waffen wie ein Raptor, nutzte sie aber vermutlich, um Pflanzen zu pflücken. Es wirkt, als hätte die Evolution einfach mal was ganz Neues ausprobieren wollen – und es hat funktioniert.“

Besonders eindrucksvoll ist der Fund nicht nur wegen der Seltenheit, sondern auch wegen seines außergewöhnlich gut erhaltenen Zustands – vor allem an Armen und Händen. Zwar fehlen Schädel und Beine, doch eine der Krallen wurde vollständig mitsamt ihrer Keratin-Ummantelung gefunden. Das ist bemerkenswert, denn die äußere Hülle lässt darauf schließen, dass die tatsächliche Länge der Kralle rund 40 Prozent über der des Knochens lag – ein eindrucksvolles Verhältnis, gemessen an der Körpergröße.

Die Forscherinnen und Forscher vermuten, dass die gigantischen Klauen nicht nur zur Verteidigung dienten, sondern vor allem bei der Nahrungssuche halfen. Während andere Therizinosaurier teilweise Allesfresser waren, scheint Duonychus tsogtbaatari ein reiner Pflanzenfresser gewesen zu sein. Die stark gekrümmten Krallen und das bewegliche Handgelenk deuten darauf hin, dass er seine Klauen zum Greifen nutzte – trotz der reduzierten Fingeranzahl. Laut Studie konnte er damit sogar Äste mit einem Durchmesser von bis zu zehn Zentimetern umschließen.

Der fehlende dritte Finger schien dabei kein Nachteil zu sein. Im Gegenteil: Der Verlust einzelner Finger ist ein bekanntes Muster in der Evolution der Theropoden. Prominentes Beispiel: Tyrannosaurus rex, dessen Arme im Laufe der Zeit ihre Funktion weitgehend einbüßten. Bei Duonychus hingegen stellt der zweifingrige Bauplan eine Premiere unter den Therizinosauriern dar – ein Phänomen, dessen Ursache noch ungeklärt ist. Warum ausgerechnet ein pflanzenfressender Greifspezialist einen seiner Finger verlor, bleibt also vorerst ein Rätsel der Evolution.

Sladjan Lazic

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