Tief unten in den dunklen, kalten Gewässern des Nordatlantiks lebt eines der rätselhaftesten und zugleich faszinierendsten Tiere unserer Erde: der Grönlandhai. Wenn Du an Haie denkst, hast Du vielleicht sofort das Bild eines schnellen, aggressiven Räubers vor Augen – doch der Grönlandhai ist ganz anders. Er bewegt sich langsam, lebt in eisigen Tiefen und wird älter als jedes andere bekannte Wirbeltier auf unserem Planeten. Die Inuit bezeichnen den Grönlandhai als „eqalussuaq“, was auf Grönländisch so viel wie Hai oder großer Fisch bedeutet. Aufgrund seiner gemächlichen Bewegungen wird er auch als „schläfriger Hai“ bekannt. Sein Lebensraum erstreckt sich rund um Grönland und Island – damit bewohnt er die nördlichsten Regionen, in denen Haie überhaupt vorkommen. In diesem Blogartikel nehme ich Dich mit in die geheimnisvolle Welt des Grönlandhais und zeige Dir, warum dieses Tier so einzigartig ist.

Ein Leben im Verborgenen: Wo lebt der Grönlandhai?
Der Grönlandhai (wissenschaftlicher Name Somniosus microcephalus) ist ein echter Tiefseebewohner. Er kommt hauptsächlich in den kalten Gewässern rund um Grönland, Island und Nordkanada vor, wurde aber auch schon in Norwegen und Schottland gesichtet. Meistens hält er sich in Tiefen zwischen 200 und 600 Metern auf, gelegentlich sogar in über 1000 Metern Tiefe.
In diesen dunklen, nahezu unbewegten Wasserschichten ist das Leben ruhig und beständig – genau die richtigen Bedingungen für diesen langsamen Riesen. Die niedrigen Temperaturen und das konstante Umfeld könnten ein Grund für seine erstaunliche Langlebigkeit sein, denn kaltes Wasser verlangsamt Stoffwechselprozesse erheblich.
Wie sieht der Grönlandhai aus?
Auf den ersten Blick wirkt der Grönlandhai vielleicht nicht besonders beeindruckend: Er ist dunkelgrau bis braun, hat eine raue, schleimige Haut und keine spektakulären Muster oder Farben. Doch er kann bis zu sieben Meter lang werden und bringt ein Gewicht von über 1000 Kilogramm auf die Waage – damit gehört er zu den größten Haiarten der Welt.

Seine Augen sind relativ klein, oft milchig getrübt oder sogar von Parasiten befallen, was darauf hinweist, dass er sich bei der Jagd nicht primär auf sein Sehvermögen verlässt. Vielmehr orientiert er sich wahrscheinlich über Geruchssinn und Bewegungssensoren – und das mit beeindruckender Effektivität.
Ein langsamer Jäger mit großem Appetit
Der Grönlandhai ist kein schneller Schwimmer. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von nur 0,3 Metern pro Sekunde gilt er als der langsamste Hai der Welt. Dennoch gehört er zu den Top-Prädatoren seiner Umgebung. Sein Jagdverhalten ist kaum erforscht, doch man geht davon aus, dass er sich überwiegend von Fischen, Tintenfischen, Krebsen und gelegentlich auch von größeren Tieren wie Robben oder sogar Rentierkadavern ernährt.
Es ist sogar dokumentiert, dass man in den Mägen toter Grönlandhaie Überreste von Eisbären gefunden hat. Wie ein so langsames Tier an derart große Beute kommt, bleibt ein Rätsel – vermutlich nutzt er seine Fähigkeit, sich nahezu lautlos und unauffällig zu nähern, um kranke oder schlafende Tiere zu überraschen.
Das erstaunliche Alter: Wie alt wird ein Grönlandhai?
Eines der faszinierendsten Merkmale des Grönlandhais ist seine extreme Lebensdauer. Lange Zeit wusste man nur wenig darüber, bis ein internationales Forscherteam im Jahr 2016 mithilfe der Radiokarbondatierung von Augenlinsen Licht ins Dunkel brachte. Dabei stellte sich heraus, dass Grönlandhaie durchschnittlich 272 Jahre alt werden – mit einer Spannbreite von 250 bis über 500 Jahren. Der älteste jemals untersuchte Hai wurde auf etwa 392 Jahre geschätzt – mit einer möglichen Ungenauigkeit von ±120 Jahren.
Damit ist der Grönlandhai das älteste bekannte Wirbeltier der Erde. Zum Vergleich: Schildkröten, Wale und Elefanten wirken im Vergleich fast wie Teenager. Wissenschaftler vermuten, dass die langsame Entwicklung des Grönlandhais – er erreicht die Geschlechtsreife erst mit etwa 150 Jahren – ein Schlüssel zu seiner außergewöhnlichen Langlebigkeit ist.
Die Gründe für das extreme Alter des Grönlandhais sind noch nicht vollständig geklärt, aber es gibt einige interessante Hypothesen. Eine der wichtigsten ist der extrem langsame Stoffwechsel, der durch die kalten Temperaturen begünstigt wird. Ein langsamer Stoffwechsel bedeutet weniger Zellteilung, weniger Verschleiß und weniger Risiko für Krankheiten wie Krebs.
Ein weiterer Faktor könnte sein abgelegener Lebensraum sein. In der dunklen Tiefe des Meeres gibt es weniger Fressfeinde, weniger Konkurrenz und weniger Umweltveränderungen. Der Grönlandhai lebt in einer stabilen Welt – ganz im Gegensatz zu den hektischen, schnelllebigen Küstenregionen.
Zudem sind Grönlandhaie sehr genügsam. Sie können monatelang ohne Nahrung auskommen und scheinen eine gewisse Resistenz gegenüber Giften und Parasiten zu haben. Selbst wenn ihre Augen von Parasiten befallen sind, finden sie noch ihre Beute – das spricht für eine große Anpassungsfähigkeit.
Fortpflanzung und Nachwuchs
Über das Fortpflanzungsverhalten des Grönlandhais ist noch wenig bekannt. Die Tiere sind extrem schwer zu beobachten, da sie in großen Tiefen leben und sehr selten gefangen werden. Es wird jedoch vermutet, dass die Weibchen eine Tragzeit von mehreren Jahren haben könnten – ähnlich wie andere Tiefseehaie.
Grönlandhaie bringen lebende Junge zur Welt, die bei der Geburt bereits etwa 40 Zentimeter lang sind. Wie viele Jungtiere ein Weibchen zur Welt bringt, ist unklar. Aufgrund der späten Geschlechtsreife ist der Reproduktionszyklus sehr langsam – was die Art besonders anfällig für Überfischung macht.
Der Grönlandhai und der Mensch
Obwohl der Grönlandhai so geheimnisvoll und uralt ist, ist er vom Menschen nicht unberührt geblieben. Früher wurde er intensiv wegen seiner Leber gejagt, aus der man Öl gewann. Heute ist der Fang größtenteils verboten oder stark eingeschränkt, doch durch Beifang in der Fischerei geraten weiterhin viele Tiere in Netze.
Zudem ist das Fleisch des Grönlandhais für den Menschen giftig, da es Trimethylaminoxid enthält – eine Substanz, die in großen Mengen zu Lähmungen oder Halluzinationen führen kann. In Island wird das Fleisch jedoch traditionell fermentiert und als „Hákarl“ gegessen – ein Gericht, das für viele Reisende eine kulinarische Mutprobe darstellt.
Fazit – Ein majestätisches Rätsel der Tiefsee
Der Grönlandhai ist ein faszinierendes Wesen, das uns zeigt, wie vielfältig und geheimnisvoll das Leben in den Ozeanen sein kann. Seine enorme Lebensdauer, seine Anpassung an die Kälte und Dunkelheit und seine Rolle als lautloser Jäger machen ihn zu einem echten Wunder der Natur.
Wenn Du das nächste Mal an Haie denkst, stell Dir nicht nur den schnellen Weißen Hai vor, sondern auch den gemächlichen, uralten Grönlandhai, der seit Jahrhunderten durch die Tiefen des Nordatlantiks gleitet – ein stiller Zeuge der Zeit, der uns Demut lehrt vor dem, was wir noch nicht verstehen.